Freeze Frame

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Sean Veil ist ein Vollzeit-Paranoiker, sein Haus ein Bunker mit zigfacher Videoüberwachung – und selbst wenn er den mal für eine Minute verläßt, schnallt er sich mindestens eine Kamera um. Die Self-Cam ist immer auf ihn selbst gerichtet. Was er überwacht, sind seine eigenen Schritte durchs Leben: 24 Stunden pro Tag, 7 Tage pro Woche, das ganze Jahr über. Seit einem Jahrzehnt macht er das nun schon, denn vor zehn Jahren wurde er unter dem Verdacht verhaftet, eine Familie brutal ermordet zu haben. Nur durch Formfehler kam er frei – und seitdem ist ihm ein todkranker Polizist auf den Fersen und wartet darauf, daß er wieder zuschlägt, um ihn dann zur Strecke zu bringen. Veil selbst behauptet jedoch, unschuldig zu sein. Seine Videobänder, lückenlos und sicher gehortet in einem gesondert abschließbaren Bereich seiner Festung, sollen lückenlos sein Alibi der vergangenen zehn Jahre dokumentieren.

Doch dieses paranoide, ausgetüftelte System scheint nicht sicher und lückenlos genug. Mit überzogener Gewalt dringt die Polizei urplötzlich in seinen Keller ein und verlangt sein Alibi für einen ausgesuchten Tag vor etlichen Jahren zu sehen. Klar: Ebenso plötzlich fehlen ausgerechnet diese Tapes in der Sammlung! Veil flieht und taucht kurz darauf mit neuen Videos auf. Sie belegen, daß er vor fünf Jahren an einem entlegenen Strand spazieren war. Die Polizei glaubt den Bändern nicht, hält sie für eine verschleiernde Fälschung, nachträglich abgedreht am Vortag. Und das mit ihnen belegte Alibi für jenen Tag vor sechs Jahren hat außerdem einen hohen Preis: Nun fehlt Veil das Tape-Alibi des gestrigen Tages – an dem ebenfalls ein Mord passiert ist, ausgerechnet an jenem PR-geilen Journalisten, der den Polizisten gegen Veil hetzte.

Ist Veil (als einziger brillant: Lee Evans) ein paranoider Killer, der sich langsam, aber sicher im Netz seiner eigenen Videoüberwachung verfängt? Oder ist er das unschuldige Opfer eines komplizierten Komplotts? Kann Videoüberwachung helfen, Schuld und Unschuld nachzuweisen? So ein Stoff kann wohl nur aus Großbritannien kommen (in Zusammenarbeit mit Irland), der Insel mit der größten Überwachungskameradichte der Welt. Die Prämisse von „Freeze Frame“ ist wackeliger als ein Millennium-Dome aus Götterspeise. Ein des Massenmordes verdächtiger Psycho, der sich täglich Kopf und Augenbrauen rasiert und stets Gummihandschuhe trägt, um die Gefahr eines am Tatort verbleibenden DNS-Schnipsels zu minimieren, hat also nichts anderes zu tun, als sich den ganzen Tag über für mehrere Hundert Euro selbst auf DV-Bändern abzulichten. Aha. Ach je.

Hat man diesen Quark aber erstmal geschluckt, kriegt man einen ungewöhnlichen und teils hervorragenden Low-Budget-Thriller zu sehen. Die erste Stunde jedenfalls wäre für sich genommen auch eine Kinokarte wert: „Freeze Frame“ beginnt als klaustrophobischer Mystery-Thriller in eiskalten Schwarz-Blau-Tönen mit experimentellen Einlagen, passendem Düster-Soundtrack und einigen ebenso verzeihbaren wie verzichtbaren Anleihen bei „Pi“. In seinen besten Stellen philosophiert der Film auch ein bißchen über den Menschen, dessen Existenz nur noch durch seine Videopräsenz bewiesen wird: Ich werde aufgezeichnet, also bin ich. Nur zum Ende hin gerät er zunehmend zum kruden Kammerspiel-Whodunit in bester Agatha-Christie-Tradition, der sich dann auch noch in einem Twist zuviel verheddert und am Ende sogar die Hauptfigur vergißt, deretwegen wir das alles erlitten haben.

Das Resultat: insgesamt zuwenig wirkliche Gedanken über das Wesen von Video und freiwilliger Selbstüberwachung und zuviel konventioneller Krimi-Murks. Autor und Regisseur John Simpson wollte es mit seinem Digital-Video-Kafka wohl zu vielen Zielgruppen recht machen. Doch trotz einiger Schwächen lieferte er einen höchst interessanten Erstling ab, der Paranoia-Sammlungen bereichern wird und die Authentizität von Video zwingend in Frage stellt.

Andreas

Der Autor der Science-Fiction-Schund-Serie Scott Bradley bloggt auf scififilme.de über Sci-Fi-Filme, die er gerne sieht. Deine Meinung zu einem phantastischen Film ist vielleicht eine ganz andere als seine – und das ist gut so: Schreib uns in den Kommentaren, warum Du es anders siehst!

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